Von Michael Arndt
Wohnungsbaugenossenschaften bieten ihren Mitgliedern preiswerten Wohnraum. Damit entlasten sie auch den Wohnungsmarkt. Doch ihr Finanzierungsmodell ist bedroht: Änderungen im Umgang mit der Erbbaurecht und der Mietendeckel etwa können weitreichende Folgen haben.
Frei nach Alexander von Humboldt hängt alles mit allem zusammen. Das ist auch in wirtschaftlichen oder politischen Zusammenhängen ein häufig zutreffendes Phänomen. So können sich beispielsweise einzelne Wohnungsbaugenossenschaften derzeit inmitten von aktuellen Spannungsfeldern wiederfinden – mit fatalen Konsequenzen. Denn insbesondere in den Ballungsräumen sind es oft gerade Wohnungsgenossenschaften, die bezahlbare Mieten anbieten. Bei den im Verein Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften e. V. eingebundenen Unternehmen lagen nach eigenen Angaben die monatlichen Quadratmetermieten 2018 im Schnitt bei 6,77 Euro (netto/kalt) und damit rund 20 Prozent unter dem Hamburger Mietspiegel. Und wer in München genossenschaftlich lebt, erntet oft neidische Blicke. Denn wo Kaltmieten in gefragten Lagen längst an 18 Euro pro Quadratmeter heranreichen, zahlen Mitglieder von Genossenschaften nur etwa 9 Euro.
Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften sind in der Regel keine Mieter, sondern Anteilseigner mit lebenslangem Wohnrecht. Ein Verkauf des Wohnraums aus Spekulationsgründen findet nicht statt. Eigenbedarfskündigungen gibt es nicht. Spekulative Überschüsse sind nicht beabsichtigt. Die Mieterträge werden zumeist direkt in den Wohnungsbestand reinvestiert. Auf diese Weise bleiben die Mieten niedrig und Wohnungsgenossenschaften entziehen sich einem überhitzten Markt. Also ein ganz erheblicher Beitrag der Genossenschaften zum Erhalt bezahlbaren Wohnraums. Allein in Hamburg bilden sie mit rund 133.000 Wohnungen etwa 20 Prozent aller Mietwohnungen ab.
Doch nun blickt diese Tradition mit Sorgen auf den Gesetzgeber und auf (zu) eilige Initiativen. So hätte beispielsweise das in Berlin diskutierte Eckpapier eines Mietendeckels auch erhebliche Auswirkungen auf das genossenschaftliche Wohnungsprinzip und könnte bis hin zur Zahlungsunfähigkeit ganzer Genossenschaften führen. Denn gänzlich ohne Mietanpassungen können sich auch diese bei der Bewirtschaftung ihrer Liegenschaften nicht dauerhaft refinanzieren.
Akut und noch stärker sind Wohnungsgenossenschaften von der derzeitigen Praxis im Erbbaurecht betroffen. Als die Erbbaupacht Anfang des letzten Jahrhunderts eingeführt wurde, ging es insbesondere darum, dass potenzielle Bauherren nicht den Kaufpreis für ein Grundstück aufbringen mussten. Es herrschte Wohnungsnot und Geld war knapp. Grundstücke der öffentlichen Hand gingen gegen eine geringe Pacht über Jahrzehnte an den Bauherrn, also auch an Wohnungsgenossenschaften. Nach aktuellen Plänen und Vorstellungen sollen nun beispielsweise in Hamburg auch zukünftig städtische Grundstücke wieder ausschließlich im Erbbaurecht vergeben werden.
Doch die Bedingungen haben sich erheblich verändert. Bereits am Anfang der Laufzeit kann die gesamte Pacht als Einmalendgelt gefordert werden. Und nicht nur beim Kauf ist die volle Erbpacht fällig, sondern bei jeder Verlängerung muss erneut gezahlt werden – stets zu den aktuellen Bodenrichtwerten. Daher sind die Kaufpreise für Grundstücke entsprechend hoch. In München droht so der Verlust Hunderter genossenschaftlicher Wohnungen, weil die günstigen Erbbaupachtkonditionen auslaufen und der Bund aufgrund der aufgeheizten Bodenwerte jetzt Höchstpreise fordert. In Hamburg sollte eine Baugenossenschaft kürzlich 52 Millionen Euro Ablöse für seine Erbbaugrundstücke zahlen, berichtet der Verein Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften. Noch 2005 sollte diese Ablöse lediglich 9 Millionen betragen. Wohnungsgenossenschaften stehen damit vor enormen finanziellen und kaum mehr kalkulierbaren Herausforderungen.
Bei der notwendigen Refinanzierung wiegen die niedrigen Bestandsmieten gleich doppelt schwer. Zum einen bestehen oftmals keine oder nur geringe Eigenkapitalreserven. Überschüsse wurden systematisch nicht erzielt oder sofort wieder in die Wohnungen reinvestiert. Außerdem ergibt sich für den zinsgünstigen Bankkredit eine erhebliche Hürde, wenn die Wohnungen wie bei Genossenschaften üblich nicht selten stark unterhalb der Marktmieten vermietet sind. Die Schwierigkeit (Underrent-Problematik) liegt in der sogenannten Kapitaldienstfähigkeit der einzelnen Liegenschaften. In der Bankensprache: „Die Mieterträge der Wohnanlagen (abzüglich Bewirtschaftung) lassen die Bezahlung einer kalkulierten Zins- und Tilgungsrate von 4,0 Prozent auf die gesuchte Finanzierungssumme nicht zu. Daher ist die gesuchte Darlehensvergabe nicht möglich.“ Diese Absage entspricht nicht etwa Willkür, sondern ist nach § 16 PfandBG bzw. der BelWertV strikt vorgeschrieben. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Genossenschaft den effektiv niedrigeren Zinssatz tragen könnte. Ebenso wenig, dass die Objekte unter Berücksichtigung der eigentlichen Marktmiete natürlich sehr viel höhere Verkehrswerte aufweisen. Das klassische Bankdarlehen, das sich günstig am Pfandbriefmarkt refinanziert, muss hier häufig schlichtweg passen.
Bei der (Re-)Finanzierung von Wohnungsbaugenossenschaften sind daher künftig mehr Einfallsreichtum sowie alternative Finanzierungswege wie beispielsweise die Strukturierung passender Schuldscheinformen erforderlich. Da die Unternehmen selbst selten über eigenes Personal und entsprechendes Fachwissen verfügen, können Wohnungsgenossenschaften auf externe Spezialisten zurückgreifen, die den Finanzierungsbedarf strukturieren und die geeigneten Kapital- bzw. Darlehensgeber organisieren.
Gleichzeitig bedarf es mit Blick auf das Modell der Wohnungsgenossenschaften aber auch erheblicher politischer Aufmerksamkeit und Weitsicht. Denn sehr leicht treffen gut gemeinte Initiativen zur Eindämmung steigender Mieten ausgerechnet genau die Marktteilnehmer, die bereits heute und aus Tradition für bezahlbare Mieten stehen. Es hängt eben alles mit allem zusammen.